Favignana
Der Garten vor der Tür liegt im
blauen Dämmerlicht, das Schmettern
der Vögel aber läßt keinen
Zweifel: wenn wir den
Sonnenaufgang über Sizilien sehen
wollen, müssen wir jetzt
aufstehen. Die Luft ist noch kühl,
feucht vom Morgentau, aber schon
erfüllt vom Duft der
Orangenblüten. Fleissig bewässerte
Orangen und Zitronenbäume wachsen
hier, Mispeln und Aprikosen,
Pinien, Artischocken, Knoblauch
und Küchenkräuter - und dennoch
liegt der Garten viele Meter tief
unter der Oberfläche von "La
Piana", dem Ostteil von Favignana.
Wie fast alle Gärten der Insel ist
er ein aufgelassener
Tuffsteinbruch - die rötlichen
Steilwände, in deren Schutz alles
so gut gedeiht, zeigen noch immer
die Schlagspuren der Arbeiter.
Ein knatterndes Mofa überholt
unsere Fahrräder, ein freundliches
Winken, dann sind wir wieder
allein in der Stille des Morgens,
Lerchengesang von weitem. Flaches
Land, durchzogen von
Tuffsteinmauern, dahinter Felder,
Wiesen, vereinzelt ein Ferienhaus
am Straßenrand, Geruch von
Pinienharz und Kuhdung. Dann gibt
es nur noch die wild
zugewucherten, verlassenen
Steinbrüche: Favignana als
Schweizer Käse. Wir erreichen Bue
Marino gerade zum Aufgang der
Sonne über den Hügeln Siziliens.
Der Dunst über dem Meer ist zuerst
noch rotgefärbt, wird schnell
gelblich und löst sich dann ganz
auf. Nur Meer und Möwenschreie in
den Klippen, der fantastischen
Architektur der Steinbrüche.
Trampelpfade, kaum befahrbar,
stellen an unsere Fahrräder,
Hinterteile und Kondition höchste
Ansprüche, schließlich bleibt nur
noch Schieben übrig. Aber der
Anblick der Cala Rossa lohnt die
Mühe: klares, türkisfarbenes
Wasser, in der Ferne, über dem
Blau des tiefen Wassers, Levanzo,
die Nachbarinsel. Schwer
vorzustellen, daß dieses so
friedliche Meer Zeuge einer
Tragödie geworden ist: auf seinem
Grund ruhen die Reste von 120
versenkten Schiffen, die Karthago
hier in der letzten,
entscheidenden Schlacht des ersten
punischen Krieges hier verloren
hat - 241 v.Chr. Die Legende sagt,
daß die Bucht damals ihren Namen
erhalten hat, daß die Felsen vom
Blut der Gefallenen rot gefärbt
wurden. Jetzt allerdings färbt
lediglich das Licht der frühen
Sonne die wilden Klippen. Das
nagende Meer und
jahrhundertelanger Tuffabbau haben
eine bizarre Landschaft geformt:
halbversunkene Steinbrüche sind zu
Swimmingpools geworden, lange
Gänge durchbohren die Felsen,
wilde Kapernsträuche klammern sich
an einsam stehende Felssäulen.
Die Thunfischfänger von Favignana
haben auf dem großen Platz vor der
"tonnara", den Lagerhallen für
Netze, Bojen, Anker und
Gerätschaften im Hafen, riesige
Netze ausgebreitet. In langer
Reihe stehen sie, um die Netze zu
inspizieren, Löcher zu flicken und
schließlich die Netze in die
langen, schwarzen Schaluppen zu
legen. Nach monatelangen
Vorbereitungen können sie jetzt
beginnen, nach jahrhundertealter
Tradition das riesige System aus
Netzkammern aufzubauen, in dem die
Thunfische gefangen werden sollen.
Irgendwann gegen Ende Mai erreicht
dann der erste Thunfischschwarm
auf seiner Laichwanderung die
kilometerweiten Sperrnetze, wird
dann von Kammer zu Kammer in die
"camera del morte", die
Todeskammer, getrieben, um dort
abgeschlachtet zu werden. Für
manche ist diese "mattanza" ein
faszinierendes Schauspiel, für
andere ein ekelerregendes Gemetzel
- für die "tonnaroti" aber harte
Arbeit - und eine immer weniger
lukrative Verdienstmöglichkeit.
Dennoch arbeiten sie im
Bewußtsein, zu den Letzten ihres
Gewerbes zu gehören, sind stolz
auf ihre jahrhundertealte
Tradition, auf teilweise wohl noch
aus arabischen Zeiten stammende
Riten und Gesänge. In den letzten
Jahren aber, so erzählen sie,
haben die Meeresverschmutzung und
die Hochseefangflotten aber die
Zahl der gefangenen Thunfische arg
zurückgehen lassen. Als
Touristenspektakel aber könnte die
"mattanza" noch eine Weile
überleben.
Noch ein anderer traditioneller
Beruf droht auf Favignana
auszusterben - der des
Gefängnisaufsehers. Seit jeher
waren die Egadi Gefängnisinseln,
Verbannungsorte für politische
Gefangene. Berühmte Männer des
Risorgimento waren auf Favignana
gefangen und ihre Berichte sind
wahre Gruselgeschichten.
S.Caterina, oben auf dem Hügel
weithin sichtbar, ist
glücklicherweise schon lange
geschlossen. S.Giacomo, mitten im
Ort von Favignana gelegen, dient
aber immer noch als Gefängnis. Ein
Ort, den man sich weigern möchte
wahrzunehmen, eine hohe graue
Mauer im Ferienparadies, ein Ort,
über den auch die Favignanesi
nicht gerne reden.
Glücklicherweise ist das
jahrhundertealte Gebäude mit
seinen unterirdischen Verliesen,
das hinter den Betonmauern
versteckt steht, baufällig, und so
wird die Strafanstalt in
absehbarer Zeit aufgelöst.
Große Auswahl gibt es im
Restaurant "da Matteo" an diesem
Abend nicht - das Meer war zu
unruhig, Fisch ist an diesem Tag
kaum gefangen worden, und das
eigene Boot ist noch unterwegs, um
pünktlich zum Wochenende frische
Langusten und Hummer von den
Untiefen vor Pantelleria zu
fangen. Alte oder tiefgefrorene
Ware aber mag Matteo seinen Gästen
nicht vorsetzten - lieber hält er
sein Restaurant geschlossen. Aus
einheimischen Gewässern muß der
Fisch stammen, genau wie möglichst
alle anderen Zutaten auch - das
ist Restaurantphilosophie. Dabei
ist Matteo selbst gar kein
Sizilianer, er stammt aus Apulien,
seine Frau aus Piemont. Die Küche
aber ist sizilianisch, mit
einheimische Zutaten. Die eher
apulischen "spaghetti al ricci di
mare" schmecken auch mit
sizilianischen Seeigeln - ganz
intensiv nach Meer. Ganz
sizilianisch, und fast genauso
geschmacksintensiv sind die
"spaghetti al nero di seppia", der
begehrte Mundschwärzer mit
Sepiatinte. Feinere Genüsse sind
dagegen die hausgemachten Nudeln
mit Schwertfisch und Auberginen,
der Risotto mit Hummern, die
Krabben vom Rost - der Weißwein,
der uns dazu serviert wird, ist
jung und kräftig, trotzdem ganz
unaufdringlich. Schade, daß noch
keine Saison ist - auf frischen
Thunfisch müssen wir leider
verzichten. Dabei ist der vor
Favignana gefangene so gut, daß
ein Teil des Fanges sogar direkt
nach Japan gebracht wird. Und auch
eingesalzenen Thunfischrogen, eine
andere Spezialität der Insel, mag
uns Matteo nicht servieren - der
ist nur in der zweiten Hälfte des
Jahres gut. Dafür aber genießen
wir jetzt eine Aufmerksamkeit und
Gastfreundschaft, die im
überfüllten Sommer so wohl kaum
möglich sein wird.
Draußen, auf der Piazza Madrice,
geht die Blaue Stunde, die Zeit
für die "passegiata", den
allabendlichen Bummel durch die
Stadt, ihrem Ende zu. Nach und
nach verschwinden die Gruppen
untergehakter junger Mädchen, die
Pärchen und Familien mit
Kleinkindern. Jetzt konzentriert
sich das Geschehen auf die
Bars,der Piazza. Irgend ein Anlaß
zum Feiern findet sich, eine
Gitarre, ein Tamburin, ein paar
Runden Bier - und das Night-life
made in Favignana kann beginnen.
Besonders die Männer der Tonnara
sind Meister im Improvisieren von
Festen, zudem stimmgewaltige
Sänger, die auch Touristen
einzubeziehen und aufzutauen
wissen - ganz besonders natürlich
die weiblichen.
Levanzo
Gerade einmal fünf Minuten
braucht das Tragflächenboot, um
uns die kurze Strecke von
Favignana nach Levanzo zu bringen.
Ebenso rasch zieht eine dunkle
Wolke auf, und kaum haben wir das
Anlegemanöver im Hafen beendet,
bricht der Platzregen auch schon
los. Der kurze Sprint bis zur
nächsten Deckung reicht schon aus,
uns bis auf die Haut zu
durchnässen. Kaum haben wir uns
unter einen abgestellten LKW
gehockt, da lacht auch schon
wieder - schadenfroh - die Sonne,
der Regenschauer zieht übers Meer,
Richtung Sizilien.
Nach unserer Trocknung in der
einzigen Pension der Insel
erkunden wir das bisschen
Levanzo-Ort. Nicht einmal mehr
dreihundert Menschen leben in den
weißgekalkten Häusern, die sich
unter kargen Felsen und steilen
Hängen in der Cala Dogana drängen.
Immerhin, es gibt einen
Tabakhändler, winzige Geschäfte,
zwei geschlossene Restaurants und
zwei offene Bars, Refugium
kartenspielender älterer Herren.
Beim Espresso werden wir gut
beraten - zur Cala Minnola sollen
wir gehen, dann zurück über die
Ebene im Inselinneren, und abends,
unbedingt, zum Sonnenuntergang am
Faraglione, der Levanzo
vorgelagerten Klippe im Westen.
Wir machen uns auf den
angegebenen Weg, durch den Ort,
vorbei am Friedhof, dem wummernden
Dieselmotor des E-Werks, vorbei an
der felsigen Cala Fredda. Ein von
der Schotterstraße abzweigender
Pfad führt uns in das Reich der
halbkugelig wachsenden Wolfsmilch,
deren hüfthohe Kuppeln in allen
Schattierungen von gelbgrün bis
rostrot die Landschaft dominieren.
Dann eine Pineta, harzig duftender
Schatten, schließlich die
steinerne Landungsstelle der Cala
Minnola: ein einsames Boot unter
fleckenlos blauem Himmel, Sizilien
am Horizont. Zurück geht es durch
Pineta und Macchia,
kräuterduftende Hitze, ein kurzer
Anstieg, dann erreichen wir die
Ebene im Inneren von Levanzo.
Wenige Häuser stehen inmitten
blühenden Unkrauts, die Viehweiden
sind von Margeriten gelb
übersprenkelt - noch hat die
Sommerhitze nicht alles zu
braunem, staubigen Gebüsch
verbrannt. Der Mann, der eine
kleine Herde unwilliger Schafe
melkt, entpuppt sich als der
Besitzer des Kramladens unten im
Dorf. So wie er selbst, erzählt er
uns, leben die Levanzesi von allem
Möglichen: Fischfang,
Zimmervermietung im Sommer,
Bootsfahrten mit den Touristen,
ein wenig Gartenbau für den
Eigenbedarf, Ricotta und Käse für
den Verkauf im Laden oder auf dem
Festland. Wir fragen, ob auch Wein
angebaut wird - am Horizont ist
immerhin Marsala sichtbar. Leider
nein - aber der Signore macht ein
Tröpfchen für den Eigenbedarf, das
wir unbedingt probieren müssen. So
legen wir den steilen Weg zurück
ins Dorf mit seinem betagten Fiat
zurück, einem der wenigen
Inselautos, halten schließlich vor
seiner Cantina.
Glücklicherweise ist es dann
nicht allzuweit vom Ort zum
Faraglione. Über dem Weg ragen
steile Felsen. Anspruchslose
Scabiosen mit großen lilafarbenen
Blüten, struppige Kapernsträucher,
wenige Feigenkakteen können hier
noch wachsen - die Südwestseite
der Insel ist trocken und öde.
Gruppen von Agaven recken ihre
blassen, blaugrünen Blätter der
tiefstehenden Sonne entgegen, im
gleißenden Licht auf den Wellen
hebt sich die dunkle Silhouette
Marettimos ab. Das Licht wird
weicher, die Hügel von Favignana
gegenüber färben sich rötlich,
während wir an einem winzigen
Strand mit weißen Kieseln sitzen,
gegenüber der felsigen Möwenburg
des Faraglione. Ihre rauhen
Schreie in der Stille des sich
lila färbenden Himmels.
Der Weg, auf dem wir in der
Mittagshitze durch die karstige
Macchia marschiert sind, verzweigt
sich zu zahlreichen Trampelpfaden.
Es geht sehr steil im Zickzack
meerwärts - dann stehen wir, am
Fuß einer tropfsteinbedeckten
Felswand, erwartungsvoll im
Schatten des "Vorzimmers" der
"Grotta del Genovese". Signore
Castiglione, der Kustode, hinter
dessen Esel wir die ganze Strecke
hinterhertrotten durften,
entzündet eine Gaslampe, öffnet
die Eisentür, die den
Höhleneingang versperrt. Wir
folgen ihm durch einen engen Gang
ins Dunkle, in den Schoß der Erde.
Entfernt tropft Wasser, die
zischende Lampe wirft fahles Licht
auf die Wände mit den Zeichen in
Schwarz und Rot, die durch ein
jahrtausendelanges Schweigen zu
uns reden. Stilisiert zu kantigen
Stichen die Männer, violinartige
Torsi die Frauen, Stiere, ein
großes Tier an einem Strick, ein
Thunfisch, ein Delphin - die Welt
eines neolithischen Stammes,
gemalt vor vielleicht 6000 Jahren.
Dann führt uns Signore Castiglione
ein paar Schritte weiter, hält die
Lampe dicht an den Felsen, und im
unruhigen Licht werden noch ältere
Bilder sichtbar, eingraviert in
die Felsen, als Levanzo und
Favignana noch keine Inseln waren,
vor mehr als 10 000 Jahren.
Hirsche, Esel und Stiere in
lebendigen, sicheren Linien,
dazwischen die seltsamen Figuren
dreier maskierter Menschen,
tanzend durch Dunkelheit und
Schweigen.
Marettimo
Kinder rudern ein Boot im Hafen
von Marettimo, ihr Lachen
durchdringt die Stille der
Dämmerung. Ein ganz leichter Wind
bewegt die lilafarbene Fläche des
Meeres, bringt den kühlen Geruch
von Salz und Algen, den schwachen
Hautgout von Fisch. Dazwischen
atmet die gespeicherte Hitze des
Tages aus den Steinen. Der scharfe
Geruch von Thymian mit seinen
blaßblauen Blüten dominiert,
darübergelager, sanft, ein wenig
betäubend, der Duft von rosa und
weißen Zistrosen.
Mare - Meer - und timmo -
Thymian- läßt sich leicht aus dem
Namen der Insel herauslesen. Auch
wenn die Ableitung nicht ganz
korrekt sein mag - die Araber
nannten die Insel "Malitimah" -
sie kennzeichnet dennoch sehr
treffend die Doppelnatur dieser
entlegensten der Ägadischen
Inseln. Das Inselinnere ist das
Reich des Thymian, der wilden
Kräuter und seltenen Pflanzen, die
in der steilen Bergwelt der Insel
versteckt leben, geschützt durch
undurchlässige Macchia und
schroffe Felsen, in die nur wenige
zugewucherte Pfade führen. Mare -
das ist das unendliche Blau
ringsum, die wahre Heimat der
Marettimari, dieser so ganz aufs
Meer eingestellten Menschen. Schon
zehnjährige Jungen sind geschickt
Fischer, deren Gesprächthemen
nicht Autos sind, sondern Boote
und Außenbordmotoren. Was sie noch
nicht können, bringen ihnen die
Halbwüchsigen bei, oder die Alten
- die Männer der Insel sind oft
lange abwesend, wenn nicht als
Fischer, dann als Besatzung auf
Fähren und Frachtern. Die in ihrer
schmucklosen Kantigkeit abweisend
wirkenden Häuser Marettimos,
zusammengedrängte Gassen unter den
steilen Hügeln, sind vom Licht der
gerade aufgehenden Sonne
rotgefärbt. Auf einer Bank im
Hafen sitzt eine alte Frau und
unterhält sich mit Mann und Söhnen
über den Fischfang der vergangenen
Nacht - per Funkgerät. Das ruhige
Wetter muß genutzt werden. Solange
wie möglich sind die Männer
unterwegs, denn das Leben der
Fischer ist nicht gerade einfach.
Dabei haben es die Marettimari zu
einigem Wohlstand gebracht, im
Vergleich zu früheren harten
Zeiten. Auf alten Bildern sieht
man noch die Männer in offenen
Segelbooten, vollgeladen mit
Schwämmen, die sie vor den Küsten
des nahen Afrika gefischt hatten.
Und die enormen Muskelpakete auf
den Oberarmen der alten Männer
erzählen von der Zeit, in der man
bei Flaute sieben Stunden rudern
mußte, um den Fisch zu den
Aufkäufern in Trapani zu bringen.
Viele Marettimari mußten damals
auswandern, gingen nach Amerika,
wurden Fischer in Kalifornien, vor
Neufundland oder Alaska, und viele
kehrten zurück, bauten Häuser,
kauften Kutter und gründeten eine
Genossenschaft - so kam ein
bescheidener Wohlstand auf die
Insel.
Am späten Nachmittag liegt nur
noch ein Teil des steilen Weges,
der zu den "Case Romane" führt, in
der Sonnenhitze. Wir folgen teils
dem Schotterweg,teils dem alten,
blumen - und unkrautüberwucherten
Maultierpfad. Marettimo mit seinem
charakteristischen Doppelhafen
liegt bald tief unter uns. Ein
verwilderter Mandelhain, eine
Pineta, üppig wuchernde Kräuter
und Sträucher bezeugen den
Wasserreichtum Marettimos,
Schwärme von Schmetterlingen
flattern über den Weg. Dann liegt
eine alte Kirche vor uns, den
Vermutungen nach aus dem neunten
Jahrhundert stammend, vom Stil her
normannisch. Und gleich nenbenan
stehen die Ruinen "Case Romane",
wahrscheinlich Reste eines
römischen Außenpostens.
Wir aber gehen weiter, vorbei am
Wasserwerk, hinauf zum Pizzo
Falcone, mit 686 m der höchste
Berg der Insel. Der kaum noch
sichtbaren Pfad führt durch die
Macchia aus Rosmarin, Erika und
der auch hier üppig wuchernden
Wolfsmilch. Dann beginnen die
Wolken, die sich über den
Berggipfeln aufgebaut haben, zu
senken, und bald sind wir in
dichte Nebelschwaden gehüllt, in
denen jedes Geräusch verstummt.
Manchmal nur blitzt von unten hell
das Meer herauf, gewährt einen
kurzen Blick auf sonnenbeschienene
Wellen. Unmöglich, weiterzugehen -
wir müssen wieder absteigen, bei
dem losen Geröll auf den Pfaden
zuweilen eine recht rutschige
Angelegenheit. Dann endlich
verlassen wir den Bereich des
unheimlichen Nebels, und unter uns
liegt wieder der Ort, im letzten
Sonnenlicht.
Ähnlich unzugänglich zeigt sich
ein großer Teil der Insel. Selbst
der Pfad zur Festung von Punta
Troia ist teilweise recht
schwierig. Ein kleiner Strand,
kurz vor dem letzten Aufstieg und
eine phantastische Aussicht
entlang des Weges lohnen jedoch
die Mühe. Einfacher, wenn auch
recht lang, ist der Weg zum
Leuchtturm von Punta Libecchio auf
der unbewohnten Westseite der
Insel. Ein hübscher Pinienwald,
Ausblicke über steile Hügel, bei
klarem Wetter über das Meer bis
hin nach Sizilien und seltene
Pflanzen am Wegesrand machen diese
Tour recht interessant. Und
schließlich zeigt sich die andere
Inselseite in einem gänzlich
anderen Gesicht: schroffe Wände
aus Dolomit vermitteln den
Eindruck, Marettimo sei ein ins
Meer gefallenes Stück Alpen, und
die verlassene, nur karg
bewachsene Landschaft scheint
schon außerhalb der Welt zu
liegen. Auf der ins Meer
vorgeschobenen Felszunge unterhalb
des Leuchtturms ist man dann
wirklich am Rande der Welt: Hinter
dem Horizont liegt Afrika.